Tuesday, May 24, 2016

Die psychologische Unrichtigkeit des Wortes Flüchtling

Flucht ist an sich ein sehr feiges Wort. Weglaufen, sich einer Sache nicht stellen, straussenmässig den Kopf in den Sand stecken, Hände vors Gesicht halten, um nicht gesehen zu werden, sich aus Angst vor dem Ungewissen nicht der Realität stellen, die Hitze nicht ertragen können und ein 5 Minuten Weichei bleiben. Das sind Assoziationen mit dem Wort Flucht. Fahnenflucht, Weltflucht, Fahrerflucht und noch viele weitere flüchtige Wörter mit der fliehenden Eigenschaft: verflucht!

​Das Wort Flüchtling gibt der ganzen Konnotation noch einen weiteren Zusatz mit der Endung „–ling“. Klingt irgendwie klein und niedlich, oder? Liebling, Jüngling, Lehrling, Säugling, Schützling, Schwächling, Winzling. Natürlich gibt es auch Wörter wie Wrestling oder Lüstling, was alles etwas härter klingt. Aber irgendwie gibt das dem Ganzen mit der Endung doch ein anderes Wesen.

Was ist also ein Flüchtling? Und hier rede ich von jenen Leuten, die um ihr Leben fürchten müssen. Menschen aus Regionen die kein menschenwürdiges Leben bieten, wo man nicht weiss, ob einem wortwörtlich in der Nacht die Decke auf den Kopf fällt und man mitsamt der Familie unter den bombardierten Ruinen des Heimes verschüttet wird. Regionen, wo Rebellen ganze Dörfer auslöschen, Töchter vergewaltigen und Söhne zu Kindersoldaten manipulieren. Gruppierungen, die mir pervertierten Religionsinterpretationen Morde rechtfertigen. „Schatz, wir ziehen mal um“ ist da gar nicht so einfach. Alles, was sie und ihre Generationen vor ihnen erarbeitet haben, sind in diesem Land. Viele so arm, dass sie ihre Familie kaum versorgen können, geschweige denn dass man eine ganze Grossfamilie umsiedeln kann. Das sind Länder, in denen Familien bestehend mehreren Generationen unter einem Dach wohnen. Nun stelle man sich mal vor, wie verzweifelt ein Mensch sein muss, um eine Flucht, nein, einen Ausweg zu finden. Da kann man nicht einfach zum nächstbesten Reiseberater gehen und sich gemütlich einen Flug buchen, schnell Koffer packen und hopps geht die Reise los.
 
Flucht ist hier das falsche Wort, es klingt zu einfach. Die Flucht an sich ist ein Entscheid zwischen Weglaufen und Bleiben. Sie hat etwas sehr buchhalterisches an sich. Man zieht Bilanz zwischen Soll und Haben, eine Bestandsaufnahme zwischen dem was man hat im Haben und dem Ungewissen im Soll. Vielen leben in einer gemütlichen Lethargie und geben sich mit dem bekannten Status zufrieden, statt eine Sache zu riskieren. Menschen, die mit an sich Kleinigkeiten im Leben unzufrieden sind: Job, Beziehung, Ort wo sie wohnen, wie sie jemand schlecht behandelt, usw. Und doch macht man nichts und redet sich ein, dass es doch nicht so schlimm ist. Ach nee, so schlimm ist es ja gar nicht, vielleicht ist der andere ja noch übler. Das ist Flucht im negativen Sinne, denn das Ungewisse ist relativ unbedeutend und auch nur temporär: man stellt sich nicht einer Sache, sondern nimmt den einfachen Weg raus und verharrt in der gemütlichen Komfortzone. Das Habitat der Was-wäre-wenn-, ach-so-schlimm-ist-es-ja-nicht- und ich-will-nichts-riskieren-Feiglinge. Flüchtlinge, die vor der Realität und vor Verantwortungen fliehen. Dann gibt es aber jene, die im Haben das Bangen um ihr eigenes und das Leben ihrer Familie besitzen, die Unsicherheit, ob eine Gruppe Rebellen sie jederzeit angreifen könnte oder die einst blühende Heimat zu einem Häufchen Schutt umgewandelt wird. Auf der anderen Seite der Bilanz ist die Ungewissheit, wie man eine ganze Familie schützen kann. Seine ganze Heimat aufzugeben, alles was einem bekannt ist und was mehrere Generationen aufgebaut haben. Und das alles für ein ungewisses Ende, welches im Tod der Liebsten resultieren kann oder in einer Rückführung. Die Möglichkeit, dass man es knapp mit dem Leben nach Europa schafft hat und dann zurückgeschickt wird. Mit dem Unterschied, dass dann zuhause nichts mehr ist: man halt ja bereits alles verkauft und aufgegeben, um diese Reise überhaupt antreten zu können. Das braucht dann schon noch eine gehörige Portionen Mut und Hoffnung, wenn man entgegen allen Widrigkeiten das Bekannte hinter sich lässt und mit der Familie ins Ungewisse schreitet. Mit schweren Beinen durch Wüsten läuft, gegen die Wellen um Luft kämpft und verzweifelt versucht die Familie beisammen zu halten als auch im kalten Matsch bei Minusgraden marschiert und nachts so zu frieren, dass man nicht einmal mehr schlafen kann. Das alles, um einfach eine Chance auf ein Leben zu haben. Das ist kein Easy Way Out, sondern eine Irrfahrt ins Ungewisse, bei der sich selbst Odysseus in die Hosen gemacht hätte. Statt einer Flucht vor Tatsachen, ein mutiger Kampf ums Leben. Menschen, die so etwas auf sich nehmen, dürfen nicht herabgesetzt und als Flüchtling -oder noch schlimmer  als Feiglinge, Schmarotzer und Nichtsnutze- bezeichnet werden. Menschen in der besten und ehrenvollster Form: die für die Familie und eine bessere Welt kämpfen. Das sind Kämpfer! Meinetwegen Kämpflinge, aber Kämpflinge, die meinen höchsten Respekt verdienen.

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